Stimmenhören-was ist das ?

Stimmenhören ist gar nicht so selten und auch nicht unbedingt ein Zeichen einer Erkrankung
Für Menschen, die es selbst nie erlebt haben, kann es schwierig sein, sich vorzustellen, wie es ist, Stimmen zu hören. Und es mag erstaunen, dass diese Erfahrung gar nicht so selten ist. Es gibt Schätzungen, dass bis zu 15% aller Menschen im Verlauf ihres Lebens mindestens einmal Stimmen hören und ein Grossteil von ihnen, ohne krank zu sein. Stimmenhören ist schon aus sehr alten Zeiten überliefert und in vielen unterschiedlichen Kulturen belegt. Stimmenhören wird bei uns seit Mitte des 19. Jahrhunderts häufig pathologisiert, als krank eingestuft, und vor allem als Symptom einer Schizophrenie angesehen, obwohl die Mehrheit der stimmenhörenden Menschen ihr Leben ohne psychiatrische Therapie leben. Etwa zwei Drittel der Stimmenhörenden kommen gut mit ihrer Erfahrung klar.

Wie fühlt sich Stimmenhören an?
Wenn jemand Stimmen hört, mag das so sein, als ob man die Stimmen (oder auch anderen Geräusche) – so wie gewöhnliche Laute – mit den Ohren hört. Der Unterschied ist nur, dass nicht auszumachen ist, woher die Stimmen kommen, und dass andere Menschen sie nicht hören können. Für die Stimmenhörenden ist es aber ganz real, was sie hören.
Es kann auch sein, dass die Stimmen nicht wie mit den Ohren gehört werden, sondern dass es so erlebt wird, als ob die Stimmen Gedanken wären, die von irgendwo her in den eigenen Kopf gelangen würden, z.B. wie durch Telepathie. Die Stimmen scheinen jedenfalls von irgendwoher ausserhalb des eigenen Bewusstseins zu kommen. Stimmen können also von aussen kommen, im Kopf oder manchmal auch irgendwo anders im eigenen Körper wahrgenommen werden.

Menschen, die Stimmen hören, fühlen sich selbst nicht als Urheber der Stimmen, und sie können sie weder steuern noch vorhersagen, was sie als Nächstes sagen werden. Es gibt Leute, welche die Bezeichnung „Stimmenhören“ als schlechte Beschreibung für ihre Erfahrung ansehen, denn Stimmenhören kann sehr unterschiedliche Formen annehmen und ist etwas sehr Individuelles. Es kann sein, dass jemand non-verbale Gedanken wahrnimmt oder Bilder und Visionen, manchmal auch Gerüche und Geschmack oder Berührungen respektive andere Körperwahrnehmungen.

Stimmenhören kann sein wie ein Traum im Wachzustand (wie Dorothea Buck psychotische Erfahrungen erklärte). Es kann ein schöner Traum sein, ein Albtraum oder auch etwas dazwischen mit ganz verschiedenen Aspekten. Und wie ein Traum kann es sich auch verändern.

Stimmenhören kann ganz verschieden sein
Es gibt Stimmenhörende, bei denen die Stimmen den ganzen Tag präsent sind, bei anderen nur zu bestimmten Zeiten, vielleicht ausgelöst durch gewisse Erlebnisse oder emotionale Zustände. Manche Menschen hören Stimmen auch nur vereinzelt oder gar nur ein einziges Mal in ihrem Leben. Die Lautstärke kann variieren und es kann sich um eine einzelne Stimme handeln oder auch um mehrere. Die Stimmenhör-Erfahrung kann Angst machen und destabilisieren, es kann sich aber auch um etwas Angenehmes, Hilfreiches handeln und beispielsweise das Gefühl vermitteln, nicht alleine zu sein. Die Inhalte der Stimmen können alles Mögliche sein, von negativen, manchmal bösartigen oder auch positiven Kommentaren (über die stimmenhörende Person oder jemanden aus ihrem Umfeld) über Befehle, etwas Bestimmtes zu tun, oder auch aufmunternde Bemerkungen und Lob bis hin zur Erinnerung an einen vergessenen Termin oder Unterstützung beim Lösen einer Aufgabe.

Mögliche Ursachen
Stimmenhören tritt oft in Verbindung mit einem einschneidenden Erlebnis auf, z.B. können sie nach dem Tod eines Angehörigen trösten oder bei Menschen auftreten, die lange Zeit unter extremen Bedingungen allein sind. Es kann bei Menschen entstehen, welche sexuell missbraucht wurden oder die unter einem grossen Verlust, z.B. ihrer Arbeit, leiden. Das Alter, in dem die Stimmen zum ersten Mal auftreten, ist ganz unterschiedlich, ebenso wie die Intensität des Schreckens darüber. Im Jugendalter scheint diese Erfahrung am Schlimmsten zu sein. Die Verstörung ist offenbar meist geringer, wenn man von klein auf Stimmen hört oder wenn sie erst später im Erwachsenenalter auftreten.

Eine Studie von Prof. Marius Romme und Dr. Sandra Escher mit Menschen mit einer Diagnose Schizophrenie zeigte, dass 70 bis 80% dieser Stimmenhörenden die Erfahrung von Traumata oder emotionaler Vernachlässigung gemacht haben. Dies mit dem Ergebnis von überwältigenden oder widersprüchlichen Emotionen, mit denen diese Menschen noch nicht umzugehen gelernt haben. Romme und Escher sind zwei Forscher aus Maastricht, die sich stark mit dem Thema befasst und versucht haben, von den Erfahrungen derjenigen Stimmenhörenden zu lernen, welche keine psychiatrische Hilfe benötigen und einen guten Umgang mit ihren Stimmen gefunden haben.

Berühmte Stimmenhörende
Man weiss von vielen bekannten Menschen, dass sie zu den Stimmenhörenden zählen. Einige Beispiele sind neben Religionsstiftern wie Jesus und Mohammed auch Moses, Sokrates, Hildegard von Bingen, Mahatma Gandhi, Johann Wolfgang von Goethe, Robert Schuman, Charles Dickens, Virginia Woolf, Carl Gustav Jung, Sigmund Freud, Jeanne d’Arc, Winston Churchill, John Forbes Nash, Anthony Hopkins, Carlos Santana, Zoë Wanamaker, Brian Wilson, John Frusciante und Zinédine Zidane, also Menschen mit ganz unterschiedlichen Begabungen.