Die Sophie Günther bin ich und ich möchte etwas aus meinem Erfahrungsschatz, bezüglich des Stimmenhörens, mitteilen.
Ich schreibe grad an einem Buch über meine bisherigen Lebenserfahrungen, die vorliegende Schizophrenie betreffend. Das wird aber noch ein wenig dauern, bis ich das Buch fertig habe!
Seit 24 Jahren höre ich täglich Stimmen. Das ist die Hälfte meines bisherigen Lebens! Und es hat vor kurzem eine plötzliche Veränderung gegeben. Aber ich möchte ganz von vorne beginnen:
Meine schizoaffektive Störung durchzieht, bei genauerer Betrachtung, mein ganzes Leben.
Ich bin schon als Schreihals auf die Welt gekommen, was heißen soll, dass ich so geschrieen habe, dass es überall zu hören war.
Die Schwestern wußten schon: „Ach, das ist die Sophie! Die schreit aus vollem Halse!“
In der Pubertät waren einmal abstrakte, rumorende laute Geräusche zu hören, die wie aus einem Gottesritual aus Vorzeiten zu stammen schienen, und die nicht zu verstehen waren. Aber das hörte auf. Bis es dann mit 24 wieder begann. Nur diesmal ganz anders. Viele Stimmen hörende Leute kennen das: der eigene Name ist zu hören und wiederholt sich immer und immer wieder.
Ich bin erst spät zu Medikamenten gekommen. Ich hatte lange Jahre die Psychose „pur“!
Und ich empfand das Stimmen-hören wirklich als unerträglich. Ich schlief nachts ein und war froh, im Schlaf Ruhe zu haben. Ich wünschte mir so sehr, nach dem Aufwachen wenigstens einen kleinen Moment nichts hören zu müssen. Aber selbst diese Minute gab es nicht… Gleich beim Wachwerden gab es für mich den tagelangen Zwang, in der Kehle jedes Wort mitzusprechen.
Es war voraussehbar, was sie sagen würden, weil sie meine Gedanken permanent wiederholten.
Es handelt sich zur Zeit um einen Stimmenchor, der aus der Ferne zu hören ist.
Die Stimmen sprechen alle das Gleiche. Sie siezen mich, sind noch immer mit meinen Gedanken behaftet und reden nichts, was mir neu ist , oder von dem ich ausgehen könne, das es nicht meinen eigenen Gedanken entspräche. Manchmal, wenn ich instabil bin, dann sind die Stimmen anders. Wenn ich mit einer Manie zu kämpfen habe, werden die Stimmen „göttlich“. Dann, wenn ich mich richtig darauf einlasse, sind sie Gott selber, oder sagen mir, ich sei göttlicher Natur.
Grundsätzlich, wenn ich psychisch stabil bin, glaube ich aber, dass sie meinem Unterbewußten entspringen. Erstaunlich ist das Phänomen, dass, falls ich eine Zeit ohne Stimmen erlebe, sie sofort wieder kommen, wenn ich jemandem sage, dass ich keine Stimmen höre. Das kommt meines Erachtens daher, dass es den traumatischen Ursachen meiner Krankheit zu Grunde liegt, nicht über solche Dinge zu sprechen, sondern sie zu verschweigen und zu unterdrücken.
Damit komme ich gleich zur Ursache dieser Dysfunktion meines Gehirns:
Mein Hirn ist deswegen „ausgeflippt“, weil es nie zu einer „Lösung“ kam! Ich habe eingesteckt und ausgehalten. Ausgesprochen habe ich nie, was mich bedrückte, und ich wurde durch diese Grundhaltung des Aushaltens anfällig für Manipulation, was soweit führte, dass ich mein Selbst fast verlor.
Das habe ich dann ja auch in der Krankheit, die mit Realitätsverlust einher ging, erfahren.
Der letzte Impuls, das Ungleichgewicht in meiner Gehirnchemie betreffend und auslösend, kam von einer zwar kurzen , aber entscheidenden Phase des Drogennehmens, und das ist, wie bei vielen anderen meiner Leidensgenossen, der entscheidende Grund.
Ich nehme seitdem keine Drogen mehr und trinke nur mal ein Gläschen Wein oder ein, zwei Biere. Es tut mir gut, mit den Drogen aufgehört zu haben. Ich genieße meinen klaren Kopf und habe mittlerweile meine Erkrankung akzeptiert.
Mit dem Akzeptieren kam auch letztendlich das Akzeptieren der Stimmen. Durch die Medikamente ist es nicht mehr so schlimm. Wie auch viele andere berichten, fangen die Stimmen erst abends richtig an. Mir hilft immer Musik zu hören. Ich kann abends keine Waschmaschine anmachen, da dann das Musikhören nicht hilft. Gibt es bestimmte Nebengeräusche, sind die Stimmen zu hören. Im Gespräch oder wie gesagt, normalerweise beim Musikhören, höre ich nichts.
Seit Kurzem sind die Stimmen oft ganz weg. Ich bin sehr stabil. Das ist traumhaft, nichts zu hören…
Aber dem ging etwas anderes voraus:
Ich hatte es akzeptiert, Stimmen zu hören. Gelesen habe ich mal den Tipp eines Psychiaters, nicht mit den Stimmen zu sprechen. Aber ich habe eine andere Erfahrung gemacht. Fast die ganze Zeit des Stimmenhörens, habe ich versucht, sie zu verdrängen. Nun hab ich aber angefangen mit ihnen zu sprechen. Das ist eine ganz andere Herangehensweise. Ich antworte nun. Das macht es in meinem Empfinden viel, viel einfacher….
Der Schlüsselmoment dieser Veränderung war der, dass die Stimmen seit Jahrzehnten sagen: „Nur nicht traurig werden!“ Das machte mich oft aggressiv. Nun war es wieder lange so, dass sie dies sagten und plötzlich wurde ich „traurig“! Ich hatte Todessehnsucht,wie es mir früher oft gegangen ist. Das war lange nicht mehr da und in dem Augenblick, als ich die Todessehnsucht hatte, verstand ich plötzlich, was die Stimmen meinten. „Nur nicht traurig werden!“ bedeutet: nicht sterben wollen! Und von nun an, sah ich die Stimmen mit anderen Augen. Ich begann das erste Mal außerhalb der Manie mit ihnen zu sprechen und nahm sie an, als eine Stimme meines Selbst. Ich dachte, es sind eine Art laute Gedanken. Und ich sah es sozusagen als Hilfe an, die mir selbst entspringt. Nicht mehr von außen. Man kann sich ja tausend Erklärungen denken, wieso sie da sind und woher sie kommen, die Stimmen… Außerirdische, Psychologen, die der Gedankenübertragung fähig sind etc. Sie sind eine Form des Denkens und stammen von mir selber. So kam es, dass ich kommunizierte und bei übereinstimmender Meinung, sagten wir: „Klatsch ab“ von den Stimmen, sowie „Klatsch ab“ von mir, im Sinne von: „Take five“
Seitdem das nun eine Zeit lang so ging, höre ich lange überhaupt nichts mehr. Das ist eine große Befreiung und ich genieße die Ruhe. Aber ich denke auch nicht drüber nach. Es ist einfach so.
Ausschlaggebend für die neue Einstellung gegenüber dem Stimmenhören, ist auch ein Telefongespräch mit einem Berater gewesen, der selbst betroffen ist. Er sagte mir, dass er die Stimmen nicht unangenehm fände. Das hatte mich sehr gewundert und verblüfft. Da ich das, nach meiner eigenen Erfahrung, nicht nachvollziehen konnte, hab ich es nicht ernst genommen und eine ablehnende Empfindung gehabt.
Bis ich dann selbst die Erfahrung gemacht habe, dass es tatsächlich auch ein positives Umgehen geben kann.
Auch die Beratung vom deutschen Netzwerk „Stimmen hören e.V.“ hat mir gut getan und mir neue Impulse gegeben.
Ich hatte diesen E-Mail-Verkehr in Psychose-Gruppen bei Facebook gepostet und positive Rückmeldungen gehabt.
Nachdem ich aufgegeben habe, eine vergütete Tätigkeit finden zu wollen und akzeptiert habe, dass ich nicht so belastbar bin, wie andere Menschen, verstehe ich mich nun als Künstlerin. Ich male, schreibe, musiziere und tanze (was ich gelernt habe in einer Ausbildung, als ich noch gesund war) und bin mit dieser neuen Lebenseinstellung auch stabil.
Gegen die Angstzustände, unter denen ich regelmäßig leide, die mit einer Art Lähmung und starkem Unwohlsein einher gehen, habe ich Medikamente bekommen und habe es so in den Griff bekommen. Ich hab lange diese Medikamente vorweg genommen. Vorsorglich, vor jedem anfallenden Termin. Jetzt bin ich oft mutig und nehme die Tabletten nur, wenn die Angstzustände sich ankündigen. Ich trau mir immer mehr zu, bin aber auch vorsichtig, mich nicht zu überfordern. Überbelastung kann mich instabil machen. Ich bin aber tatkräftig und habe, trotz hoher Medikamentendosis, nicht unter Antriebslosigkeit zu leiden.
Etwas hilft mir auch sehr: das Beten! Es ist eine meditative Beschäftigung und hilft mir, meinen Mut, meine Hoffnung und meine Zuversicht durch Vertrauen aufrecht zu erhalten. Ich bete mehrmals täglich und kann schon fast alle Gebete auswendig. Das ist ein wesentliches Standbein meiner erfreulichen Stabilität.
Es gab auch Erfahrungen, die ich nicht der Krankheit zuschreibe, aber dazu mehr in meinem Buch, welches möglicherweise den Titel haben wird: „Gott hat nen Akzent!“