Es fing an, als ich 23 Jahre alt war. Ich war in der Realität „verrutscht“, alles war auf einmal anders, Eindrücke überschwemmten mich, Eindrücke, die sich nur in mir selbst abspielten. Ich zog mich zurück von meiner Umgebung, verschwand in psychotischen Traumwelten. Und da begannen auch die
Stimmen.
Von Anfang an waren sie zu zweit: Die gute Gottesstimme, meine innere Führung, meine Beschützerin.
Und das Gegenteil davon. Die beherrschende, böse, mich fertig machende,
tyrannische Stimme.
Es gab sie immer beide. Und die Unterscheidung der beiden voneinander viel mir lange nicht leicht.
Damals, mit 23, vertraute ich mich meiner inneren Führung an und folgte ihr, fast ohne Geld, von Deutschland aus ins Tessin. Ich schlief draußen, nachts und am frühen morgen hatte ich auf der Burgruine in Bellinzona eine Vision vom Paradies. Dieses Erlebnis veränderte mich und mein Leben für immer.
Ich wusste, dass ich dieser Stimme in mir vertrauen wollte, dass sie gut für mich war, aber sie war eben nie allein…
Sie wurde immer begleitet von der anderen.
Die nächsten Jahre waren dunkel. Ich hatte viele Psychosen, war Opfer der tyrannischen Stimme. Sie zwang mich dazu, Dinge zu tun die ich nicht wollte, beherrschte mich und schien übermächtig. Ich fühlte mich nicht in der Lage, mich gegen sie zu wehren, gegen sie anzukommen.
Ich beschimpfte sie, ich verfluchte sie, aber sie war immer da, sie wollte einfach nicht mehr verschwinden.
Auch die gute Stimme war da, spendete Trost, schien mich nach wie vor zu führen, aber sie half mir nicht heraus aus dieser Dunkelheit.
Es dauerte lange, bis ich anfing, den Weg aus dieser Hölle heraus zu finden. Ich versuchte, mich und mein Leben besser zu verstehen. Ich fand Parallelen von meiner tyrannischen Stimme zu meinem tyrannischen Vater. Ich fing an, mich zu behaupten, meinem Vater, meiner Stimme, meiner Umgebung gegenüber. Ich lernte, über mich zu sprechen und mich abzugrenzen. Ich fing an, einen liebevolleren Umgang mit mir selbst zu pflegen.
Doch das Verwirrspiel in meinem Kopf hatte dadurch noch kein Ende gefunden. Oftmals gab sich die eine Stimme als die andere aus, ich blickte nicht mehr durch. So konnte es sein, dass die Gottesstimme Gemeinheiten von sich gab und die fiese Stimme in meinem Kopf wohlwollende Wahrheiten aussprach, die ich ihr nicht zugetraut hätte.
Da ich früher dazu tendierte, der Gottesstimme quasi mein Leben anzuvertrauen, musste ich nun etwas neues für mich finden. Nämlich mir selbst zu vertrauen. Dass ich ganz alleine verantwortlich für mein Leben bin und ausschließlich ich meine Entscheidungen treffe. Nur ich. Weder die gute noch die böse Stimme.
Die tyrannische Stimme wurde tatsächlich weniger. Wenn sie noch auftauchte, sprach ich mit ihr, nahm sie ernst, lies mich aber nicht mehr von ihr beherrschen. Heute ist sie nahezu verschwunden, ich kann wieder ein gutes Leben führen.
Und die gute Stimme? Sie ist immer noch da! Sie ist meine Unterstützerin, meine Beraterin, bringt mich zum Lachen, ist mein Licht und ich denke, ja, sie ist Gott. Ich bin froh, dass ich sie habe und würde sie sehr vermissen, wenn sie nicht mehr da wäre. Ich empfinde sie als große Bereicherung. Aber blind vertrauen tue ich ihr nicht mehr. Ich glaube, wenn ich mir selbst vertraue, vertraue ich ihr, vertraue ich Gott…
Aber ich selbst halte das Steuer in meinen Händen. Und damit geht es mir sehr gut.
Verfasst von Stephanie